Mühlenflügel

Um die Windkraft zum Antrieb von Verarbeitungsmaschinen zu nutzen, muss sie eingefangen und in eine Drehbewegung umgewandelt werden. Der Windantrieb ist daher das entscheidende und auch optisch prägende Element von Windmühlen. Im Laufe der Jahrhunderte sind unterschiedliche Antriebssysteme für Windmühlen entwickelt worden, die sich in zwei Hauptarten unterscheiden lassen: Mühlenflügel und Windräder. Auf Windräder wird hier nicht näher eingegangen.

Mühlenflügel dominieren in Deutschland beim Antrieb von Windmühlen. Mehrere Flügel bilden das Flügelkreuz, indem sie durch den Well- oder Achskopf der Flügelwelle gesteckt und dort fest verkeilt sind. Ursprünglich ragte die hölzerne Flügelwelle aus dem Mühlenkörper heraus, und die Flügel waren direkt am vorderen Ende im Kopf der Welle befestigt. Diese Bauform erwies sich jedoch durch die direkte Einwirkung von Witterungseinflüssen als wenig zweckmäßig. Mit Beginn der industriellen Verarbeitung von Eisen entstanden die ersten Wellköpfe aus Gusseisen. Sie wurden fest mit der Flügelwelle verbunden und ragten nun als wetterbeständiges Bauteil aus der Mühle. Nicht selten wurde der hölzerne Wellkopf nach der Verrottung einfach abgesägt und durch einen stabileren eisernen ersetzt. Flügelwellen mit einem hölzernen Kopf sind daher heute nur noch selten zu finden.

Ein Flügelkreuz wird üblicherweise aus vier Flügeln gebildet, die rechtwinklig zueinander im Wellkopf oder, seltener, am Armkreuz befestigt sind. Windmühlen mit fünf, sechs oder sogar acht Flügeln gibt es sehr selten.

Tragender Bestandteil eines Mühlenflügels ist die Rute. Zunächst ausschließlich aus Holz, wurden Ruten spätestens ab Ende des 19. Jahrhunderts auch zunehmend aus Stahl gebaut. Während hölzerne aus einem massiven Stück gefertigt sind, besteht eine Stahlrute aus mehreren zusammengesetzten Elementen, die genietet oder verschweißt ein Hohlkastenprofil bilden. Flügelruten sind vierkantig und aus aerodynamischen Gründen konisch gefertigt. Ihren stärksten Umfang haben sie im Bereich des Wellkopfes, zu ihren äußeren Enden hin verjüngen sie sich.

Hölzerne Flügel wurden aus harzreichen und leichten Holzarten mit hoher Elastizität gefertigt, je nach Region aus Lärche oder Kiefer, für bestimmte Teile aber auch aus Eiche. Ihre Lebensdauer betrug bei angemessener Pflege 20 bis 25 Jahre. Regelmäßig drehende Flügelkreuze weisen eine längere Lebensdauer auf, da sich im Holz keine Staunässe bilden kann. Die Flügel drehen sich regelrecht trocken.

Je nach Aufbau der Flügelrute wird zwischen ein- und mehrteiligen (dreiteiligen) Flügeln unterschieden. Ein dreiteiliger Flügel besteht aus dem Bruststück und zwei Spitzen. Das Bruststück wird im Wellkopf befestigt und ist etwa halb so lang wie eine Flügelspitze. Die beiden Spitzen bilden die eigentlichen Flügel und werden am Bruststück mit Bolzen gegen Verschiebung gesichert und mit Eisenbändern bzw. Jochklammern am Bruststück festgezogen. Einteilige Flügel haben kein Bruststück und keine Spitzen, die Rute ist in diesem Fall durchgehend aus einem Stück gefertigt.

Der Durchmesser des Flügelkreuzes wird als Flucht bezeichnet. Die in Deutschland übliche Flucht liegt. je nach Größe und Bauart der Windmühle, zwischen 18 und 24 Metern, wobei es Ausnahmen in beiden Richtungen gibt. Die großen und stabilen, leistungsfähigen Holländermühlen weisen in der Regel eine größere Flucht auf als Koker-, Bock- oder Paltrockmühlen.

Um den Wind einfangen und seine Kraft nutzen zu können, sind an den Ruten die eigentlichen Flügel- bzw. Windflächen angebracht. Diese werden als Heckwerk bezeichnet. Das Heckwerk besteht aus hölzernen oder eisernen Rahmen bzw. Gatter, dessen tragende Elemente, die Heckscheite oder Heckscheiden, durch die Flügelrute gesteckt sind. Nach außen hin und parallel zur Rute sind sie durch Längsleisten, die Saumleisten, miteinander verbunden, also innen und außen besäumt. Heckscheite und Saumleisten bilden damit ein stabiles System. Es muss nur noch ausgefüllt werden, um eine Windangriffsfläche zu bilden. Dafür sind im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche Systeme entwickelt worden, die im Nachfolgenden beschrieben werden unter den Flügelarten


Das Heckwerk eines Mühlenflügels teilt sich in das Vor- und Hauptheck, auch Vorder- und Hinterzeug genannt. Zwischen beiden befindet sich die eigentliche Rute. Das Vorheck liegt vor der Rute (in Drehrichtung des Flügels), das Hauptheck dahinter. Während das schmale Vorheck den Flügel zieht, schiebt das breitere Hauptheck und bringt auch mehr Kraft in den Flügel als das Vorheck.

Die Windangriffsfläche des Haupthecks kann unterschiedlich konstruiert sein. Herausnehmbare Bretter (Türen- bzw. Windbretter), die je nach Windstärke und Kraftbedarf ein- oder ausgehängt werden können, sind eine Möglichkeit. Bei Jalousieflügeln kann das Hauptheck ganz oder teilweise mit JaIousieklappen bestückt sein. Im 20. Jahrhundert begannen deutsche und niederländische Mühlenbauer damit, durch eine verbesserte aerodynamische Profilierung und Verkleidung des Haupthecks die Leistungsfähigkeit der Mühlenflügel zu erhöhen.

Seit einigen Jahren finden Bremsklappen (Remklappen) beim Neubau von Mühlenflügeln Verwendung. Sie sind am äußeren Ende des Vorhecks montiert und in ihrer Längsachse schwenkbar gelagert. Durch das Aufstellen der Bremsklappen mittels Fliehkraftregulierung bzw. bei Jalousieflügeln oft mit dem Gestänge zur Steuerung der Jalousieklappen gekoppelt, kann die Umdrehungsgeschwindigkeit des Flügelkreuzes abgemindert und die Gefahr eines unkontrollierten Durchgehens der Mühle verringert werden.

Das Heckwerk des Flügels ist als eine in sich gedrehte windschiefe Fläche angelegt. Erst durch diese Schrägstellung (Schrank oder Windschmiege) wird es möglich, dass der senkrecht auf die Flügelfläche treffende Winddruck den Windmühlenflügel in eine Drehbewegung versetzt und eine hohe Arbeitsleistung ermöglicht.

Die Heckscheite sind in unterschiedlichen Winkeln durch die Rute gesteckt. Der Grund: Die Umdrehungsgeschwindigkeit des Flügelkreuzes ist an den äußeren Flügelenden größer als im Bereich des Wellkopfes. Daher ist der Winkel am Flügelende, dem Topp, am geringsten, zur Flügelwelle hin wird er größer. Durch das flache Flügelende wird eine Bremswirkung an dieser Stelle verhindert. Die Windkraft „fließt“ beim drehenden Kreuz vom inneren Flügelbereich zum Topp und verlässt hier den Flügel. Für die „richtige“ Winkelstellung hatte früher jeder Mühlenbauer seine eigenen Werte, die meist von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Anhand der Bauweise alter Mühlenflügel lässt sich für den Fachmann noch heute oft der Mühlenbauer ablesen.


Bremsklappen
Durch das Querstellen der Bremsklappen (an jedem
Flügel befindet sich eine Bremsklappe) wird die
Drehung durch das Schubumkehrprinzip gebremst. 



Über die Bedeutung der Drehrichtung von Flügelkreuzen wird oft philosophiert und spekuliert. Mit Blick auf Mühle und Flügelkreuz drehen sich die meisten Windmühlen links herum, also entgegen dem Uhrzeigersinn. Windmüller dagegen betrachten ihr Flügelkreuz von ihrem Arbeitsplatz aus. Dementsprechend dreht sich für sie das Flügelkreuz rechts herum, also im Uhrzeigersinn. Wie so oft im Leben, kommt es auch hier auf den persönlichen Standpunkt und das Auge des Betrachters an. Die hier dargestellte Drehrichtung ist die in Deutschland allgemein übliche. Es gibt jedoch Ausnahmen, sowohl bei Bock-, als auch bei Holländermühlen. Die Flügel dieser Mühlen drehen sich „verkehrt“ herum, da das Vor- und Hauptheck an der Rute genau anders herum angeordnet ist. Auffällig ist eine regionale Dichte dieser verkehrtherum drehenden Windmühlen im Emsland und in Westfalen-Lippe.